Die zehn Kätzchen sind aus dem Sack, alle Formel-1-Rennställe haben ihre neuen Autos für die Saison 2024 präsentiert. Seither machen Screenshot-Analysen über Luftschächte und Seitenkästen die Runde, manch Beobachter fragt gar, ob Branchenprimus Red Bull bei Mercedes abgekupfert hat. Alles Schall und Rauch, sagt unser Experte Christian Danner.
"Die Performance-relevanten Dinge sind immer die, die man nicht sieht – zum Beispiel: der Unterboden", sagt der frühere Formel-1-Pilot im Interview mit sport.de. Die präsentierten Boliden anhand auffälliger Designs zu bewerten, sei "unseriös".
Ob es nun "ein Futzerl Flügel am inneren Ende des Frontflügels gibt – so what! Es ist lächerlich, solche Dinge in die Waagschale zu werfen, weil wir es nicht können", erläutert Danner. Das könne nur ein Ingenieur, "der im Windkanal sieht, was ein zwei Zentimeter großes Stück Karbon verändert".
Vor allem Red Bull hat mit seinem RB20 Aufsehen erregt. Beobachter sprechen von einer besonders "aggressiven" Evolution des Weltmeister-Autos von Max Verstappen aus dem Vorjahr und verweisen auf vertikale Lufteinlass-Schlitze an den auffallend unterschnittenen Seitenkästen. Auch die Frage, ob Red Bull ein Mercedes-Konzept der Vorjahre aufgegriffen hat, macht in vielen Portalen und Fachmagazinen die Runde.
Solche Analysen nehme er "mit einer gewissen Gleichgültigkeit zur Kenntnis", sagt Danner: "Was auch immer da sichtbar ist, ist nicht der Grund, warum das Auto schneller oder langsamer ist. Das war noch nie so."
Formel 1: Das Verhältnis zwischen Luftwiderstand und Abtrieb muss passen
Was zu sehen sei, hätten Fotografen eingefangen und Journalisten bis ins kleinste Detail bewertet und analysiert. "Ob das ein aggressives Design ist, weiß ich nicht - ich war im Windkanal nicht dabei. Ein paar Millimeter Flap oder ein anderer Kühleinlass sind für mich weder Grund besorgt zu sein, dass das Auto nicht funktioniert, noch, um zu sagen, das ist jetzt der absolute Durchbruch", betont der RTL-Kommentator.
Entscheidend sei, ein Auto zu haben, "das ein gutes Verhältnis hat zwischen Luftwiderstand und Abtrieb und fahrbar ist. Dass die Hinterachse nicht in jeder Kurve etwas anderes macht wie es beim Mercedes letztes Jahr der Fall war", gibt Danner zu bedenken. Bei den 2022 eingeführten "Ground-Effect"-Boliden komme es ganz wesentlich darauf an, "wie tief man fahren kann, ohne das Auto zu beschädigen. Das macht einen Tag-und-Nacht-Unterschied."
Neuer "Racing Bull" ein hochumstrittenes Schwestermodell"
Insgesamt hätten sich die Autos im nunmehr dritten Jahr des geltenden Reglements "sehr angeglichen", sagt Danner. "Es ist nicht so, dass irgendwas heraussticht. Wenn man alle Formel-1-Autos in dunkelgrau oder schwarz lackiert, hätte man fast keine keine Chance, die auseinanderzuhalten."
Dabei gebe es mit dem neuen "Racing Bull" des ehemaligen AlphaTauri-Teams ein "hochumstrittenes Schwestermodell" im Feld, spielt Danner auf Vorwürfe der Konkurrenz an. Besonders McLaren-CEO Zak Brown ist die verstärkte technische Kooperation zwischen Red Bull und seinem Juniorteam ein Dorn im Auge. Der Amerikaner fürchtet, dass die Racing Bulls künftig ein B-Team der Weltmeister bilden und mehr oder weniger eine Red-Bull-Kopie ins Rennen schicken.
Der Racing Bull sei zwar "durchaus ein unterschiedliches Auto geworden", sagt Danner, bleibt aber bei seiner Grundthese. "Die Dinge, die den Speed ausmachen, sind für das normale Auge nicht sichtbar. Dass der Racing Bull eine Radaufhängung hat wie der Red Bull, die ihn dazu befähigt, tiefer zu fahren und so mehr Abtrieb und Stabilität zu haben -, davon ist auszugehen, weil er die Aufhängung eins zu eins von Red Bull bekommen hat."
Danner glaubt an Mercedes-Aufschwung
Und Mercedes? Die Silberpfeile wähnt Danner nach zwei enttäuschenden Jahren auf dem Weg der Besserung. "Was sie gebaut haben, sollte endlich mal wieder funktionieren. Denn inzwischen haben sie ihre Mess- und Simulationswerkzeuge up to date gebracht. Ich glaube, dass die konkurrenzfähig sein werden", so der F1-Experte. "Aber glauben, heißt nicht wissen. Warten wir erst einmal ab, was die Fahrer zu ihren Kisten sagen."
Immerhin: "Schön lackiert" sei der neue Mercedes W15: "Schwarz, Silber - wunderbar."
Martin Armbruster
Zur Person:
Christian Danner (65) schaffte 1985 mit dem Gewinn der Formel-3000-Europameisterschaft den Sprung in die Formel 1. Bis 1986 fuhr er in der Königsklasse für mehrere kleine Teams und errang bei 36 Grand-Prix-Starts vier WM-Punkte. Danach fuhr er in der US-amerikanischen IndyCar-Serie, avancierte zum ersten deutsche Rennfahrer, der in Formel 1 und IndyCar Punkte holte. In der DTM gewann Danner zwischen 1988 und 1996 fünf Rennen, 1997 zog er sich aus dem aktiven Motorsport zurück. Von 1998 bis 2022 kommentierte der Bayer an der Seite von Heiko Waßer die Formel 1 bei RTL, 2024 kehrt das Duo für den Free-TV-Sender bei sieben Rennen zurück. Folgt Christian Danner auf Instagram.


